Wo man wohnt? Ich wurde neulich gefragt, wo ich wohne, was eine Kompliziertheit in der Antwortfindung mit sich bringt. Man könnte beginnend mit Blick aus der Stratosphäre langsam in die Erdoberfläche hineinzoomen, wobei man letztendlich bei dem oben abgebildeten Wegweiser ankommen würde. Also, Mühlbach ist exakt. Etwas weiter zurück gezoomt hätten wir die Chartaque am Ottilienberg und den Jägersee. Noch etwas weiter hinaus gezoomt wäre der Hauptwanderweg 8 eine Orientierung, womit wir bei den Eppinger Linien wären, der alten Militärfeste aus dem 17. Jahrhundert, an der sich Deutsche und Franzosen einst die Köpfe eingeschlagen hatten, wohl meist die der einfachen Soldaten und der Landbewohner. Und so auf gleicher Zoom-Höhe würden wir dann den Kraichgau erkennen, eine wunderschöne Landschaft, gebaut aus Lös und Leid, wobei niemand sagen kann, wo der Kraichgau genau anfängt und wo er endet – auch so ein Merkmal des Leides. Und nochmals ein Stück heraus gezoomt ist es das Niemandsland zwischen Baden und Württemberg, ethnisch Badener, ordnungspolitisch Württemberger Gebiet, also dort, wo man vor dem Gasthaus erst die Fahrzeugkennzeichen KA und HN zählen sollte, bevor man über den Falschen lästert. Und noch weiter noch oben geflogen, gehöre ich zu Westdeutschland, Deutschland, Europa und letztendlich innerhalb einer kleinen Galaxis zu einem relativ unbedeutenden Planeten, der sich gerade Umwelt- und Klima-technisch zerlegt. Wem soll ich nun was auf die Frage antworten, wo ich wohne …
Wo man wohnt? Es gäbe natürlich auch andere Möglichkeiten der Antwort. Zum Beispiel wohne ich dort, wo man den Stirn-runzelnden Bäumen die Schilder ins Maul steckt, damit man den Pfahl einsparen kann oder damit das Schild samt Pfahl nicht geklaut oder versetzt wird; zumindest fällt mir keine andere einleuchtende Erklärung dafür ein. Oder, um den Blick wieder etwas weiter schweifen zu lassen, könnte ich sagen, ich wohne dort, wo man innerhalb von einer Stunde 10 mal ganz oben und 10 mal ganz unten sein kann, zumindest, wenn man zu Fuß geht. Mir fiele noch mehr ein; zum Beispiel glaube ich, dass uns hier eher das Wasser als der Wein ausgeht, was man auch an der umgekehrt proportionalen Preisentwicklung dieser beiden Flüssigkeiten im Supermarkt beobachten kann. Aber auch diese und weitere lokale und regionale Kennzeichen werden keine schlüssige Antwort geben, „wo man wohnt?“, wo ich denn nun wohne.
Also mache ich es mir und Euch einfach mit dieser Homepage. Zwar wohne ich nicht hier, obwohl sie sich ja sogar HOME-Page nennt. Aber hier könnt ihr Euch jederzeit mit mir treffen, und ich werde mich bemühen, auch anwesend zu sein.
Weiterführende Informationsquellen:
Eppinger Linien & Chartaque
Kraichgau (Wikipedia)
Der Kraichgau, Thomas Adam, Lauringer Verlag 2017, ISBN 978-3-7650-8433-1
Siehe auch: Fotogalerie „Kraichgau & Co.“
Lieber Axel,
vielen Dank, dass wir, die Leser Deines Blogs, so schön herangezoomt wurden. Ich mag Deine Beschreibung sehr.
Wie schön wäre es, wenn wir alle einmal von oben unseren einzigartigen Planeten betrachten dürften. So wünschte ich, viel weiter als die zweite Atmosphärenschicht zu sein. Vielleicht einmal auf der ISS um den blauen Planeten in seiner Gänze und Schönheit zu sehen. Dann würde sich jeder in diese Erde verlieben und pflegsam mit ihr umgehen. Beim langsamen heranzoomen finden wir das Zuhause aller unserer Familienmitglieder, Freunde und bekannten, fast überall auf dieser Welt. Wer will dann noch kriegerisch denken… Zugegebenner Maßen ein Tagtraum.
Die Näherung und Orientierung anhand von Flüssen und großen Bauwerken ist wunderbar, ein Bild der Landschaft entsteht. Die näheren Beschreibungen sagen auch ein wenig über die Menschen im Kraichgau und über Dich aus. Herrlich. ,,Dem Baum ins Maul gesteckt´´ würde in Norddeutschland wohl anders beschrieben.
Dort wo man wohnt ist man nicht unbedingt auch zuhause, doch schön wäre das.
Liebe Ulrike,
ich freue mich sehr über Deinen Besuch hier und bedanke mich ganz herzlich für Deinen Kommentar.
Ja, den Wunsch, die Erde einmal aus dem All zu bewundern, den kann ich nachvollziehen. Ich kann mich noch an die Begeisterung und das Mitfiebern bei jedem Start in den 60/70ern erinnern und daran, mit welcher Ehrfurcht die All-Reisenden vom Anblick der Erde gesprochen haben. Und in mancher Sciencefiction tauchte im Raumschiff inmitten von Technik die geheime und gehütete, von der Erde mitgenommene Pflanze auf. DER Traum an sich, oder eben auch ein Tagtraum, wobei Du ja diesen Traum aktiv mit Pflanzen mitgestaltest und erlebbar machst. Es bleibt also Hoffnung.
Der Kraichgau ist natürlich viel mehr, als ich in wenigen Worten sagen kann. Umso mehr freut es mich, dass daraus sogar ein kleines Bild entsteht. Und es macht mich neugierig, wie man in Norddeutschland solch kleinen Frevel bezeichnet. Und nochmal ja, ‚Zuhause‘, das ist auch ein Thema …