Wasser-Noten
„Das Wunderbare ist ja, dass das Denken immer so schön getriggert wird und dann über das Foto hinausweist.“,
schrieb mir vor Kurzem eine liebe Freundin. Und ich denke, das stimmt.
Bild oben fotografiert von Kjartan Kühnert, 9 Jahre
Krebse im Februar
„Es gibt Krebse“, sagte unser Jüngster. „Nee“, sagte ich, jetzt noch nicht, es ist Februar. „Doch“, beharrte er, was mich nachdenklich machte. Wenn er stur ist, gibt es meistens einen Grund. Also hinaus mit Kescher und Kamera, um zu prüfen wer hat recht hat. Und falls doch Krebse da sind, kann man ja auch gleich ein schönes Foto machen. Gesagt getan, und wer hatte recht? Ich nicht … 😂.
Es sind Bachflohkrebse! Punkt eins wäre somit geklärt.
Bachflohkrebse in Aktion fotografieren
Blieb Punkt zwei, ein Foto machen, aber wie? So ein Knilch ist jetzt etwa 5-10 mm klein und zappelt und flitz so schnell herum, dass Fotografieren vor Ort keine Chance hat. Wir waren uns einig, dass wir den Bachflohkrebs lebendig fotografieren und belassen wollen. Also nochmal hinaus mit Kescher, Eimern, und Schöpfgefäß. Die Tierchen sitzen so zahlreich unter dem angeschwemmten, verrottenden Laub, dass ein einziger vorsichtiger Keschereinsatz ausreichend war, um ausreichend viele Exemplare in unsere mit Bach-Wasser und Bach-Kies gefüllten Eimer und diese nach Hause zu befördern. Flugs hatten wir aus einer Glas-Vase ein Aquarium eingerichtet und unsere Fotomodelle einquartiert. Sofort begann ein wildes Treiben. Die Männchen jagten den Weibchen nach, um diese bis zur erwarteten baldigen Häutung (denn nur kurz nach dieser ist die Paarung möglich) nicht mehr aus den Armen (bzw. Beinen) zu lassen (Präkopula) und zu zweit wild im Wasser herumzuwirbeln .. Wer dabei zu spät kam, ja, der kam zu spät …
Maskiert im Wasser
„Da ist noch etwas, was sich im Eimer bewegt“ hörte ich aufgeregt rufen. Und tatsächlich zuckelte ein längeres „Steinchen“ am Grund des Eimers im Wasser herum. Mit Vorsicht ebenfalls ins Aquarium umgesetzt, kam Leben in das Steinchen, oder besser, kam Leben aus dem Steinchen heraus. Aus winzigen Sandkörnern (Größe kleiner 0,5 mm) hatte sich eine Maskenköcherfliegenlarve ihr Haus gebaut, mit dem sie nun das Terrain erkundete. Gewöhnlich ernährt sie sich ja genau auf die gleiche Art, wie die Bachflohkrebse von im Wasser verrottenden Blättern, aber irgendwie sah es aus, als ob sie doch ein wenig mit Krebseiweiß liebäugelte. Und mit dem Blick durch den Kamerasucher war uns dann auch klar, woher ihr Name stammte. Scheinbar hatte sie eine Maske aufgesetzt. Ok, das kannten wir ja.
Getriggerte Neugier
Nachdem unsere kurzzeitigen Besucher wieder am angestammten Ort das Abarbeiten der Blätter fortsetzen konnten, kam die Neugier, mit wem wir es zu tun gehabt hatten, denn die oben schon genannten Namen kannten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Beim Googeln fanden sich nicht nur die Bilder und Beschreibungen des Bachflohkrebses [1][3][4] und der Maskenköcherfliege [2][4], es fand sich auch die Bedeutung dieser Wassertierchen, nicht nur für die Artenvielfalt und das Biotop, sondern auch für uns Menschen. Beide sind sogenannte ‚Bioindikatoren‘ [5], also ‚Zeigertiere‘ [6], die durch ihre Anwesenheit einen Rückschluss auf den Zustand bestimmter Umweltbereiche ermöglichen und in unserem Fall ganz speziell ‚Makrozoobenthos‘, also noch mit dem Auge erkennbare Lebewesen für die Bestimmung der biologischen Wassergüte von Fließgewässern mittels Saprobiensystem [8]. Interessant, denn die Stelle, an der wir die Zeigertierchen entnommen hatten, das ist unser Quellbach, sichtbar sauber. Aber wie ist die Wassergüte?
Wasser-Noten
Beim Saprobiensystem zur Ermittlung der biologischen Wasserqualität von Fließgewässern werden „im Gewässer aufgefundene Lebewesen … als Bioindikatoren für die Belastung … durch abbaubare organische Substanzen verwendet, dies wird als seine Saprobie bezeichnet. Den verschiedenen erfassten Organismenarten, auch Saprobier oder Saprobien genannt, wird … dabei jeweils ein artspezifischer Indikatorwert beigemessen, der, unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Häufigkeit, die Berechnung eines sogenannten Saprobienindex erlaubt, dem jeweils eine Gewässergüteklasse zugeordnet ist. … Dazu werden zwei unabhängige Listen von Saprobien verwendet. Und in einer der beiden „… sind makroskopisch erkennbare, bodenlebende Wirbellose…, z. B. Insektenlarven (wie Steinfliegenlarven, Eintagsfliegenlarven, Köcherfliegenlarven), Krebstiere (wie Asseln und Flohkrebse), Schnecken, Muscheln, Egel und einige Ringelwürmer, aufgeführt; diese werden als Makrozoobenthos (Anm: [7]) zusammengefasst.“ Es gibt sogar eine DIN-Norm dafür. Im Ergebnis bekommt das Fließgewässer eine Gütenklasse zwischen 1 und 4 (1 = unbelastet, 2 = mäßig belastet, 3 =stark verschmutzt, 4 = übermäßig verschmutzt.) [8]
Unser Quellbach
OK, das Verfahren zur Bestimmung der Wassergüte ist etwas komplexer [9][13], und wir können aus unserem im Aquarium gelandeten Kescherinhalt nicht so einfach einen Gütewert bestimmen. Im Anhang stehen ein paar Links, wie man es praktisch macht, z.B. im Rahmen des Schulunterrichtes. Aber wenigstens wollten wir wissen, mit welchem Indikatorwert unsere beiden Tierchen zum Güteindex beigetragen hätten. Da uns die DIN nicht vorliegt, haben wir gegoogelt und gefunden: Bachflohkrebs 2,0 [10] bzw. 1,3 [11] und Köcherfliegenlarve 1,5 [10] [12]. Es sieht nicht schlecht aus, sowohl Bachflohkrebs als auch Köcherfliegenlarve weisen auf eine Wassergüteklasse zwischen 1 und 2 hin, also ‚gering belastet‘. Aber so richtig gut ist das nun auch wieder nicht für einen Quellbach, der unserer Meinung nach unbelastet sein sollte. Und schon wieder triggert es: Woran mag es liegen, dass ein Quellbach nicht mehr ein Quellbach ist …
Ja, Fotografieren triggert das Denken.
Fotoequipment
ILC-6000, Sony FE 2.8/90 Macro G, Zwischenringe 62mm, OSS, freihändig
Weiterführende Informationsquellen:
(Hinweis: Die Verlinkungen dienen nur dem Auffinden von zusätzlichen Informationen mit Bezug zum Inhalt dieses Artikels.
Der Inhalt der verlinkten Websites liegt in der Verantwortung der Betreiber und muss nicht zwingend meiner Meinung entsprechen.)
Zeigertiere
Biologische Wassergütebestimmung
[7] Makrozoobenthos, Wikipedia
[8] Saprobiensystem, Wikipedia
[9] Bioindikation Wassergüte, Expedition Dorfbach Naturama Aargau 2009
Neueste Kommentare